Programm 2023

Programm 2023

Lesungen | Buchvorstellungen | Vorträge

SAMSTAG · SATURDAY

Stärkere Strahlkraft. Wahrheit und Lüge in den polizeilichen Ermittlungen im NSU-Komplex 2000 – 2011 · Markus Mohr · Samstag, 13.00

Elf Jahre lang ermittelte die Polizei in einer der größten Mordserien der Nachkriegszeit. Neun Migranten und eine Polizistin wurden hingerichtet. Im November 2011 verbreiteten Nazis ein Selbstenttarnungsvideo, in dem sie sich zu den Morden und zu Terroranschlägen auf migrantische Einrichtungen bekannten. Mohr und Roth zeichnen die Rolle von Polizei und Justiz bei der Aufklärung der Verbrechen nach. Wie hat die Polizei bei ihren Ermittlungen zu der Mordserie ihre Wissensbestände aggregiert, welche konkreten Schlüsse hat sie dabei gezogen? Während der Ermittlungen war offiziell nicht bekannt, wer für die Mordserie und die drei Bombenanschläge verantwortlich war. Zunächst wurden die als „Ceska-Serie“ bezeichneten Verbrechen kaum beachtet. Erst ab dem sechsten Mord im Juni 2005 engagierte sich die Polizei stärker in den Ermittlungen, qualifizierte sie jedoch fast ausschließlich als mafiöse Verbrechen im Drogenmilieu. Der hier immer auch präsente Rassismus bekam eine andere Funktion. Die in der nachträglichen Aufarbeitung des NSU zu der Polizeiarbeit wohlfeil zirkulierende Verwendung der moralisierenden Leerformel „Versagen“ wird einer kritischen Überprüfung unterzogen.

For eleven years, the police investigated one of the largest murder series of the post-war period. Nine migrants and a policewoman were executed. In November 2011, Nazis distributed a self-exposure video in which they claimed responsibility for the murders and for terrorist attacks on migrant facilities. Mohr and Roth trace the role of the police and judiciary in solving the crimes. How did the police aggregate their knowledge bases during their investigation of the murder series, and what specific conclusions did they draw? During the investigation, it was not officially known who was responsible for the series of murders and the three bombings. At first, the crimes, referred to as the „Ceska series,“ received little attention. Only after the sixth murder in June 2005 did the police become more involved in the investigations, but qualified them almost exclusively as mafia crimes in the drug milieu. The racism that was always present here took on a different function. The use of the moralizing empty formula „failure“, which circulates in the subsequent reappraisal of the NSU with regard to police work, is subjected to critical scrutiny.

Seuchenjahre. Orientierungsversuche im Ausnahmezustand · Maximilian Hauer · Samstag, 15.00

Im Frühjahr 2020 brach SARS-CoV-2 in den Alltag ein und begann in der Lebenswelt zu zirkulieren. Vertrautes wurde unheimlich, individuelle Routinen und soziale Regeln schlagartig außer Kraft gesetzt. Doch die Pandemie irritiert nicht nur den gewohnten Umgang mit anderen Menschen, sondern stellt auch die Ordnung zentraler Kategorien wie Staat und Individuum, Politik und Ökonomie, Natur und Gesellschaft in Frage. Das Buch unternimmt eine materialistische Analyse der Seuche und ihrer staatlichen Bewältigungsversuche und will die Auseinandersetzung über die verschiedenen politischen Strategien fördern, mit denen Linke der Pandemie begegneten.

In the spring of 2020, SARS-CoV-2 crashed into everyday life and began to circulate in the living world. Familiar things became uncanny, individual routines and social rules were abruptly suspended. But the pandemic not only irritated familiar ways of social interaction, it also called into question the order of central categories such as state and individual, politics and economy, nature and society. The book undertakes a materialist analysis of the pandemic and its attempts by the state to cope with it. It aims to promote discussion of the various political strategies with which leftists confronted the pandemic.

Ausschnitte aus den sozialen und revolutionären Kämpfen auf den vom chilenischen Staat dominierten Territorien · Sturmflut · Samstag, 15.00

Mit einer kleinen Ausstellung von Plakaten der letzten Zeit wollen wir kleine Ausschnitte und Einblicke in die sozialen und revolutionären Kämpfe auf den vom chilenischen Staat dominierten Territorien geben. Es gibt eine kleine Führung durch die Ausstellung. Außerdem wollen wir mit einem Video-Beitrag und einigen Texten über die Situation der beiden gefangenen Anarchist*innen Mónica Caballero und Francisco Solar informieren deren Prozess bald beginnt.

With a small exhibition of recent posters, we want to give small excerpts and insights into the social and revolutionary struggles in the territories dominated by the Chilean state. There will be a small guided tour through the exhibition. In addition, we want to inform with a video contribution and some texts about the situation of the two imprisoned anarchists Mónica Caballero and Francisco Solar whose trial is about to begin.

Öffentliches Plädoyer. Einblicke der Verteidigung in das Antifa Ost-Verfahren · Videomitschnitt einer Veranstaltung vom 1. Juni 2023 · Samstag, 15.00

Nach 98. Prozesstagen vor dem Oberlandesgericht fiel im Antifa Ost-Verfahren am 31. Mai 2023 das Urteil gegen die vier angeklagten Antifaschist*innen. Die politische Dimension dieses Verfahrens zeigte sich deutlich im Vorgehen der Bundesanwaltschaft, die mit allen Mitteln auf eine Verurteilung der Angeklagten drängte. Der Öffentlichkeit präsentierte sie die Angeklagten als Quasi-Terrorist*innen, deren Schuld bereits fest stand. Das Verfahren wurde folgerichtig im Staatsschutzsaal des OLG geführt und sollte nach der BAW mit drakonischen Strafen enden. Die mediale Aufbereitung täuschte darüber hinweg, dass zahlreiche Beweise einseitig ausgelegt und sogar entlastendes Material ignoriert wurde. Wie in ähnlichen Verfahren auch, waren die Umstände geneigt, eine Teilnahme der Öffentlichkeit am Prozess einzuschränken. Diesen Raum wollten die Veranstalterinnen des „Öffentlichen Plädoyers“ öffnen und eine politische Diskussion anhand des Verfahrens führen.

Im Rahmen der Veranstaltung vom EA Dresden “Ein öffentliches Plädoyer: Einblicke der Verteidigung in das Antifa Ost-Verfahren” wurde mit den Verteidiger*innen der vier angeklagten Antifaschist:innen hinter den Vorhang des Verfahrens vor dem Oberlandesgericht Dresden geschaut. Hierbei wurden staatliche Akteur*innen und ihre politischen Ziele in den Fokus gerückt. Welche Auswirkungen hatte die Aufweichung des §129 StGB auf das hiesige Verfahren? Was bedeutet das Urteil für Folgeverfahren und politisch aktive Menschen in und außerhalb Sachsens? Wie können Antifaschist*innen mit der andauernden Kriminalisierung ihrer politischen Arbeit in Zukunft umgehen?

After 98 days of trial before the Higher Regional Court, the verdict against the four accused anti-fascists in the Antifa Ost trial was handed down on May 31, 2023. The political dimension of this trial was clearly evident in the actions of the Federal Prosecutor’s Office, which used every means at its disposal to push for a conviction of the defendants. They presented the defendants to the public as quasi-terrorists whose guilt was already established. The proceedings were consequently conducted in the State Protection Room of the Higher Regional Court and, according to the BAW, were to end with draconian punishments. The media coverage concealed the fact that numerous pieces of evidence were interpreted one-sidedly and even exculpatory material was ignored. As in similar proceedings, circumstances were inclined to limit public participation in the trial. The organizers of the „Öffentliches Plädoyer“ wanted to open up this space and conduct a political discussion on the basis of the trial.

In the context of the event of the EA Dresden „A public plea: Insights of the defense in the Antifa East trial“, the defense attorneys of the four accused antifascists took a look behind the curtain of the trial at the Higher Regional Court of Dresden. The focus was on state actors and their political goals. What effects did the softening of §129 StGB have on the proceedings here? What does the verdict mean for follow-up proceedings and politically active people in and outside of Saxony? How can anti-fascists deal with the ongoing criminalization of their political work in the future?

Mit geballter Faust in der Tasche · Kollektiv Stein & Wort · Samstag, 17.00

Wir werden aus dem Buch „Mit geballter Faust in der Tasche“ lesen und haben Lust mit euch über Klassismus in linken Zusammenhängen zu sprechen.
Der Sammelband „Mit geballter Faust in der Tasche“ vereint autobiografische Zugänge linker Aktivist*innen aus Schweden zum Thema Klasse. Neben Ausschlüssen und Barrieren wird die Frage der Deutungshoheit thematisiert. So schreibt beispielsweise Frederic Carlsson-Andersson darüber, dass Klasse nur aus einer privilegierten Perspektive ein schwer greifbares Konzept sei, „von unten“ dagegen eine direkt erfahrbare, oft schmerzliche Realität.
Die Beschreibung der Herkunftswelten der Autor*innen folgt keinem defizitären Blick, sondern betont Solidarität und Verbundenheit, ohne zu romantisieren. Klasse ist dabei einverleibte Erfahrung, Erlebnis von Scham und Anstoß von Wut.

We will read from the book „Mit geballter Faust in der Tasche“ (With a clenched fist in the pocket) and want to talk with you about classism in left contexts.
The anthology „Mit geballter Faust in der Tasche“ combines autobiographical approaches of left activists from Sweden to the topic of class. In addition to exclusions and barriers, the question of interpretive sovereignty is addressed. Frederic Carlsson-Andersson, for example, writes that class is a difficult concept to grasp only from a privileged perspective, while „from below“ it is a directly experienced, often painful reality.
The description of the authors‘ worlds of origin does not follow a deficit view, but emphasizes solidarity and connectedness without romanticizing. Class is thereby an embodied experience, an experience of shame and an impetus for anger.

Über Organisierungsfragen · communaut · Samstag, 17.00

Wir stellen das Blogprojekt communaut.org allgemein und unsere Organisierungsdebatte communaut.org/de/organisationsdebatte vor.
Auch wenn schon länger kein Artikel direkt in der Debatte erschienen ist, ist das Thema bei uns sehr aktuell und spielt immer wieder eine wichtige Rolle in unsereren Diskussionen, Artikeln und Veranstaltungen, so z.B bzgl. der Klimabewegung oder der Streiks in Frankreich.
Wir werden versuchen diese Verbindungen der auf den ersten Blick unerschiedlichen Themen mit der Organisierungsfrage darzustellen.
Dabei wollen wirbesonders auf das Verhältnis von Organisation(en) und Bewegung eingehen und weniger auf historische Fragen.

We present the blog project communaut.org in general and our organizing debate communaut.org/de/organisationsdebatte.
Even if no article has been published directly in the debate for a long time, the topic is very current for us and plays an important role in our discussions, articles and events again and again, e.g. concerning the climate movement or the strikes in France.
We will try to show these connections of the at first sight different topics with the question of organizing.
We want to focus on the relationship between organization(s) and movement and less on historical questions.

Femi(ni)zide. Kollektiv patriarchale Gewalt bekämpfen · Autor*innenkollektiv Biwi Kefempom · Samstag, 19.00

In der Lesung wird zunächst das Buch vorgestellt, indem unter anderem die Entwicklung der Politisierung von Femi(ni)ziden, ein Definitionsversuch sowie feministische Kämpfe gegen Femi(ni)zide und patriarchale Gewalt am Beispiel der Wiener Vernetzung „Claim the Space “ thematisiert werden. Anschließend teilt Kim von #keinemehr Leipzig Erfahrungen zur Politisierung von Femi(ni)ziden und stellt das Toolkit „Was tun gegen Feminizide?! Ein Werkzeugkasten zum Handeln gegen die Ohnmacht und für das Leben“ vor.  Danach soll der Raum für Gespräch und Austausch geöffnet werden.

Zum Inhalt des Buches:
Seit Sommer 2020 lässt die feministische Vernetzung „Claim the Space“ in Wien keinen Femi(ni)zid mehr unbeantwortet und fordert damit kontinuierlich eine öffentliche Auseinandersetzung ein. Als Teil davon und anknüpfend an feministische Kämpfe in Lateinamerika und der Karibik diskutiert das Wiener Autor*innenkollektiv Biwi Kefempom (Bis wir keinen einzigen Femi(ni)zid mehr politisieren müssen) die Analysen von Femiziden und Feminiziden für den deutschsprachigen Raum. Dabei dient Femi(ni)zid als politischer Begriff der Benennung und Bekämpfung eines breiten Kontinuums patriarchaler Gewalt gegen Frauen, Lesben, inter, nichtbinäre, trans und agender Personen (FLINTA). Das Buch thematisiert die strukturellen und intersektionalen Gewaltverhältnisse, die den Morden zugrunde liegen. Die Autor* innen nehmen Bezug auf historische und transnationale Protest- und Erinnerungsformen sowie in diesem Kontext angestoßene Debatten und diskutierte Begriffe wie Femi(ni)zid-Suizid oder Transizid. Somit werden Möglichkeiten eines kollektiven, solidarischen Kampfes gegen patriarchale Gewalt – nicht trotz, sondern aufbauend auf unterschiedlichen Erfahrungen – ausgelotet.

The reading will start with a presentation of the book, including the development of the politicization of femi(ni)cides, an attempt at a definition, and feminist struggles against femi(ni)cides and patriarchal violence using the example of the Viennese network „Claim the Space „. Afterwards, Kim from #keinemehr Leipzig will share experiences on the politicization of femi(ni)cides and present the toolkit „Was tun gegen Feminizide?! Ein Werkzeugkasten zum Handeln gegen die Ohnmacht und für das Leben“.  Afterwards, the space will be opened for conversation and exchange.

About the content of the book:
Since the summer of 2020, the feminist network „Claim the Space“ in Vienna has left no femi(ni)cide unanswered, continuously calling for a public debate. As part of this and following on from feminist struggles in Latin America and the Caribbean, the Viennese authors‘ collective Biwi Kefempom (Bis wir keinen einzigen Femi(ni)zid mehr politisieren müssen: Until we don’t have to politicize a single femi(ni)zid anymore) discusses analyses of femicides and feminicides for the German-speaking world. In doing so, femi(ni)zid as a political term serves to name and combat a broad continuum of patriarchal violence against women, lesbians, inter, non-binary, trans and agender persons (FLINTA). The book addresses the structural and intersectional relations of violence that underlie the murders. The authors refer to historical and transnational forms of protest and remembrance as well as debates initiated in this context and discussed concepts such as femi(ni)cide suicide or transicide. Thus, possibilities of a collective, solidary struggle against patriarchal violence are explored – not despite, but building on different experiences.